Die
Freiheit des Spielenden
Ensemble Capricorn geht in Alt-Weiler Kirche mit
barocken Meisterwerken sehr kreativ um
Mit
den gewöhnlichen Barockkonzerten hatte der Auftritt
des Ensembles „Capricorn“ in der Alt-Weiler
Kirche nicht viel zu tun. Andreas Wäldele (Violine),
Bernd Schöpflin (Kontrabass), Françoise Matile
(Cembalo), Armin Bereuter (Gambe), Nicolas Rihs (Fagott)
und Hansjürgen Wäldele (Oboe) folgten nämlich
dem Ideal des „homo ludens“ – des „spielenden
Menschen“ -, und nahmen sie sich die Freiheit,mit
dem Notenmaterial der „größeren und kleineren
Meisterwerke des Barock“ äußerst kreativ
umzugehen.
Nicht die Rekonstruktion eines „authentisch barocken“
Klangbildes war ihr Anliegen, wohl aber eine Einfühlung
in den Esprit barocker Aufführungspraxis, schließlich
war es zur damaligen Zeit üblich, vorbildhafte Werke
in den jeweiligen Zeit- und Personalstil einzuschmelzen
und der solistischen Zierfreude – man denke an den
oft improvisierten Koloraturprunk barocker Opern –
freien Lauf zu lassen. Eine technische Perfektion um ihrer
selbst willen lehnen die modernen Spielleute von Capricorn
ab: „Wir distanzieren uns von der Zweckhaftigkeit
der Mechanik, wir beanspruchen Spiel“, heißt
es im Programm. Freilich ist hinzuzufügen, dass eine
so fantasievolle, spontane und lebendige Interpretation
nur auf der Basis einer selbstverständlichen Beherrschung
des technischen Rüstzeuges und eines gewachsenen Ensemblegeistes
möglich ist, der es jedem Spieler erlaubt, die Einfälle
seiner Kollegen sofort zu verstehen und aufzugreifen.
Als Grundlage ihres Konzerts hatten sich die Musiker ein
Thema mit dem bezeichnenden Titel „La Folia“
(Wahnsinn) ausgesucht, das bereits Meister wie Michel Farinel,
Arcangelo Corelli und Marin Marais inspiriert hatte. Eigentlich
ist es nur ein Minimotiv aus einer aufwärts gerichteten
Sekunde und einer fallenden Terz. Es ließ also genügend
Raum, umeine unerschöpfliche Fülle an Klangfarben,
Affekten, Rhythmen und Dynamik zu entfalten: Federleicht
hingetupfte Dialoge zwischen Oboe und Fagott, Streicherpassagen,
die von filigranem Schöngesang bis zu dickem, expressiv
aufgeladenem Ton changierten, delikate Pianissimopassagen
und machtvolle Forte- Eruptionen. Bisweilen verfiel das
Sextett in Jazz-Rhythmen und kam auf die gewagte Idee, das
Thema aus alten Miss-Marple-Filmen einzublenden.
Auch in Georg Philipp Telemanns e-moll-Suite verband Capricorn
eine präzise, leichtfüßige und transparente
Interpretation mit originellen Einfällen. So vertauschte
Andreas Wäldele seine Violine mit Zupfinstrumenten,
und einmal legten die Musiker ihre Instrumente beiseite,
um die Themen zu pfeifen.
Aus dem Einstimmen der Instrumente entwickelte sich ein
kurzer Improvisationsteil, der anschließend bruchlos
in die C-Dur-Sonata Dietrich Buxtehudes überfloss.
Vivaldis Concerto in g-moll spielte Capricorn mit rüstigem
Tempo, wobei es den expressiven, farbenreichen Charakter
weit eher hervorkehrte als schiere Klangschönheit.
So wagte sich der Kontrabass im Largo-Satz in unbequeme
Höhenlagen, und im Schlusssatz lieferten sich Gambe
und Kontrabass eine fulminante Kadenz. Die Schlusstakte
wurden so oft wiederholt, dass erst der aufbrandende Applaus
des zu Recht begeisterten Publikums die Endlosschleife beendete
und die Musiker in die Tonika zurückkehren ließ.
Michael Gottstein,
Badische
Zeitung vom 10.01.2006
Intelligentes,
lebendiges Spiel
Ensemble Capricorn
in der Altweiler Kirche
Weil
am Rhein. La Folia heist der portugiesisch-spanische
Tanz aus dem Mittelalter, den man - so oft man will - mit
melodischen Änderungen wiederholt. Kleine Narrheiten
(span. folia) erlaubten sich die Musiker des Ensembles Capricorn,
und die vielen Zuhörer in der sehr gut besetzten Altweiler
Kirche waren begeistert von den kleinen munteren Stückchen
barocker Meister in dieser Interpretation.
Profession, Lebendigkeit und Vielfalt, gepaart mit Pfiff
sind Markenzeichen des Ensembles um die Weiler Musiker Andreas
und Hansjürgen Wäldele. Vor allem die unzähligen
Variationen zu "La Folia" der Komponisten Farinel,
Corelli und Marais boten unendlich viele Eindrücke
zwischen dem fein gehauchten Ende einer Achttaktigen Variante
und seinem virtuos rasenden Nachfolger. Mit unzähligen
Nuancen von Emotion, von Spielarten und Verzierungen erzählte
das Ensemble seine eigene Story vom Entstehen dieser Musik
in ihren Händen.
Was die Künstler im Vorwort ihres Programmheftes andenken,
wurde auf sehr sympathische Weise musikalisch erläutert:
"Wir beanspruchen Spiel" - will heissen: Das Ensemble
wiederholt nicht nur, spielt nicht nach, rekonstruiert nicht.
Es gibt Freiraum - "ein Spiel mit Tönen, Klängen
und Formen". Wo beginnt das Stück, wo endet es?
Dies liegt schon mal im Verständnis des Hörenden
. Werden die Instrumente noch gestimmt? Haben die Streicher
einen Vorsprung? Springen die Bläser auf den fahrenden
Zug auf? Einmal bestimmten gar die Zuhörer den Schluss
des Stückes, als sie in dei Wiederholungen des Schlussmotivs
hineinapplaudierten.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: das Publikum
hörte barocke Musik - lebendiges Menuett und tänzerische
Gigue (Telemanns Suite e-moll), leidenschaftliches Largo,
feuriges Allegro (in Vivaldis Concerto g-moll) - und liess
sich bezaubern von Leichtigkeit und impulsivem Tanz der
"Folies d'Espagne". Doch es hatte Anteil an einem
höchst lebendigen Umgang mit alter Musik.
Françoise Matile (Cembalo), Armin Bereuter (Gambe),
Nicolas Rihs (Fagott), Bernd Schöpflin (Kontrabass),
Andreas Wäldele (Violine und Mandoline), Hansjürgen
Wäldele (Oboe) erlaubten sich schon mal einen sehr
aktuellen Ausflug mit Anklängen an Funk, Blues oder
Rock'n'Roll. Die Spielarten der Instrumentenbesetzung wurden
variiert. So übernimmt der Kontrabassist mal den Violinenpart,
das Fagott bewegt sich in den Höhen der Oboe, das Spektrum
der Klangnuancen wird um die Mandoline ergänzt. Ein
hoch intelligentes Spiel mit vielen besonderen Möglichkeiten
der Interpreten und ihren Instrumenten. Absolut erfrischend.
Marcel Wehrle,
Weiler Zeitung am 11.01.2006
Klangzauber
und witzige Gewandtheit mit Bach
seoner solistenabend: Das Ensemble Capricorn präsentierte
«J. S. Bach und seine Zeitgenossen».
(hmr) Das auf
Barock und Klassik spezialisierte Schweizer Ensemble Capricorn
war erstmals in Seon zu hören und wartete mit einem
sehr originellen Konzert auf: «J. S. Bach und seine
Zeitgenossen», witzig und virtuos, in kühner
Harmonik und voller Überraschungen dargeboten von Andreas
Wäldele (Violine, Mandola und Mandoline), Hansjürgen
Wäldele (Oboe), Nicolas Rihs (Fagott, Englischhorn),
Armin Bereuter (Kontrabass) und Françoise Matile
(Cembalo). Ihr Programm mit barocker Musik bot ungewohnte
Klänge, zumal vier Stücke «Goldberg-Variationen»
(BWV 988) von Bach (in ihrer originalen Fassung 1742 für
zweimanualiges Cembalo komponiert) in der Instrumentierung
von N. Rihs mit Oboe, Violine, Fagott und Basso continuo,
eine Variation mit Violine, Englischhorn und Cembalo und
eine mit Oboe, Violine, Fagott und Kontrabass erklangen;
im Gesamten also vier Variationen von Bach, welche Werke
von Telemann, Buxtehude und Zelenka einrahmten. Ouverture,
chromatische Variation, Fughetta und Arla (Thema) entführten
das Cembalo-Werk in komplizierte und komplexe Blasmusikklänge,
nur gerade in der Aria durfte F. Matile ihr wunderbar seraphisch
klingendes Cembalo solistisch zur Geltung bringen: die echten
«Goldberg-Variationen».
Die vier Bach-Kompositionen, in ihrer Originalfassung ein
einsamer Höhepunkt in der Welt der Variationen, bildeten
in der Instrumentierung von N. Rihs keinen effizienten Gegensatz
zu den Werken der «Zeitgenossen», zumal auch
sie von Blasinstrumenten geprägt sind. Auffallend allerdings
die original für Oboe, Violine, Fagott und Basso continuo
komponierte Triosonate c-moll des tschechischen Meisters
Jan Dismas Zelenka (1679-1745): Sie beglückte durch
Fülle und tänzerische Beschwingtheit und begeisterte
in dynamischer Präzision und Geschlossenheit das Auditorium
am offenkundigsten. Georg Philipp Telemann (1681-1767) wurde
mit den sechs Sätzen der Suite e-moll (5. Pariser Quartett)
für Oboe, Violine, Mandoline und Basso continuo phantasievoll
und leidenschaftlich (auch witzig) gefeiert, die Triosonate
G-Dur für Oboe, Mandola, Fagott, Cembalo und Kontrabass
von Dietrich Buxtehude (1637-1707) - Bach lernte vieles
von dessen phantasiereicher und harmonisch-kühner Musik
- inspirierte die Musiker zu einer virtuosen und klangsatten
Darstellung. Bachs Zeitgenossen erweiterten mit ihren dichten
und beschwingten Werken den Begriff der Klangwelt des Barocks
eindringlich und wussten dank makelloser Interpretation
voll zu überzeugen. Die Zugabe setzte einen köstlichen,
witzigen Akzent, der spontanes Lachen auslöste.
Mittelland Zeitung;
04.11.2004
Ein musikalisches Erlebnis mit viel Tiefgang
Brugg
- Die Zuhörerinnen und Zuhörer erlebten am Samstag
eine Abendmusik der besonderen Art
Wer gewohnheitsmässig
die samstägliche Abendmusik in der Brugger Stadtkirche
besucht, macht dies im Wissen um eine musikalische Bereicherung
und eine sinnvolle Einstimmung auf den Sonntag. "Predigten"
mit Musik ist man oft geneigt zu sagen, denn die musikalische
Ausdruckskraft entspricht der Vielseitigkeit des gepredigten
Wortes. Dies war auch am vergangenen Samstagabend nicht
anders, und dennoch erlebten die zahlreich erschienenen
Besucher eine besonders eindrückliche Feierstunde.
Die Überschrift "Aus der Tiefe" bezog sich
auf die tiefe Stimmung der Hauptinstrumente, Cembalo, Orgel
und Kontrabass. Sie spielen in der Barockmusik, vor allem
in den Werken Johann Sebastian Bachs eine Hauptrolle und
sie waren in jedem Stück präsent. Dass sich dazu
Fagott, Blockflöte und, Gambe gesellten, war schon
eine eher ungewöhnliche Zusammensetzung, und wie sich
Organist Gaudenz Tscharner zu Beginn ausdrückte, "ein
Experiment". Letzteres bezog sich auch auf die Tatsache,
dass alle Werke als Bearbeitungen für die erwähnten
Instrumente zu hören waren. So etwas ist meist gewöhnungsbedürftig,
und so harrte man gespannt der Töne und Klänge
des musizierenden Ensembles. Zu ihm gehörten Gaudenz
Tscharner am Cembalo und am Orgelpositiv, Ivo Schmid, Kontrabass,
Nicolas Rihs, Fagott, Armin Bereuter, Gambe, und Katharina
Bereuter, Blockflöte.
Akustisch aparter Tiefgang
Johann Sebastian Bachs Kantate "Aus der Tiefe
ruf ich, Herr, zu dir" bildete nicht nur den programmatischen
Leitfaden, sondern auch den musikalischen Rahmen, in welchen
die weiteren Werke eingebunden waren. An die Ungewöhnlichkeit
des instrumentalen Arrangements musste man sich kaum gewöhnen
- so wohlklingend und die Ohren umschmeichelnd kamen die
einzelnen Werke daher. Doch nicht nur das Ohr, auch das
Auge wurde mit Ungewöhnlichem verwöhnt: Dem Musizieren
von Armin Bereuter auf der Gambe, der so genannten Kniegeige,
zuzusehen, war ein Erlebnis. Das äusserlich schöne
Instrument "bearbeitete" er mit eleganter Phrasierung
und äusserst musikantischem Schwung. Das Fagott als
leichtlüssiges und vornehm zurückhaltendes Instrument
zu behandeln, ist eine Kunst welche Nicolas Rihs vollendet
beherrscht. Da war nichts zu hören von holpriger Komik,
mit welcher dieses Instrument oft gleichgestellt wird. In
allen aufgeführten Werken bestach das Fagott durch
sein geschmeidiges und federleichtes Spiel und durch die
Rolle als wichtiges aber nie dominantes Instrument.
Ergriffene Stille zum Schluss
Vertrauter ist uns der Klang der Blockflöte,
welche von Katharina Bereuter virtuos gespielt wurde und
sich ausgezeichnet in den ungewöhnlichen Instrumentenmix
einfügte. Jedes gut gelungene Konzert ist immer ein
Verdienst des ganzen Ensembles, und so stand die Freude
über das gelungene Experiment in den Gesichtern aller
Mitwirkenden. Dennoch wurde der Bitte um Stille entsprochen
und anstelle von Applaus machte sich ein Gefühl von
dankbarer Ergriffenheit im Kirchenraum breit.
(ms)
Aargauer Zeitung
16.02.04
Fröhliches
Frühlingskonzert
In der evangelischen Kirche Rebstein musizierte
am frühen Sonntagabend ein virtuoses Ad-hoc-Orchester
Rebstein. Neben
der bekannten «Missa solemnis» von Mozart begeisterten
die sieben Meistermusiker des Ad-hoc-Orchesters vor allem
mit witzigen Soloimprovisationen in Haydns «Sinfonia
concertante in B-Dur».
Organisiert
wurde das Rebsteiner Frühlingskonzert vom einheimischen
Organisten David Schenk, der im Konzert ebenfalls mitspielte.
Die übrigen Musiker - Andreas Wäldele, Violine
und Blue Grass-Mandoline, Hansjürgen Wäldele,
Oboe, Martin Truninger, Klarinette, Nicolas Rihs, Fagott,
Bernd Schöpflin Kontrabass und Françoise Matile,
Cembalo und Orgel - stammen aus den Regionen Basel, Biel
und Zürich. In der gleichen Besetzung spielte dieses
meisterliche Ad-hoc-Ensemble bereits vor drei Jahren einmal
in Rebstein.
Hervorragend umgesetzt
Die Werke, eigentlich für grosse Orchester komponiert,
wurden vom Fagottisten Nicolas Rihs für die kleine
Besetzung umgeschrieben. Dank der grossen Virtuosität
aller Mitwirkenden, dank hoher Präzision und grosser
Musikalität in der Interpretation wirkten die Meisterwerke
durch diese Umsetzung jedoch nicht geschmälert. Im
Gegenteil. Die kleinere Zahl der Instrumente gab den Werken
eine grössere Transparenz. Strukturen wurden klar erkennbar.
Interessant war immer wieder, wie Melodien und Themen von
einem Instrument aufgeworfen und von den anderen übernommen
und schliesslich zu vollen Klanggebäuden verdichtet
wurden. Mozarts Missa solemnis in G-Dur KV 337 erstrahlte
so in einem ganz neuen Glanz. Das Orchesterwerk war hervorragend
umgesetzt und wirkte als «Kammermusik» ebenso
kräftig und vital wie in der Originalfassung.
Virtuose Musikalität
Mit lautmalerischer Bildhaftigkeit interpretierten Françoise
Matile und David Schenk Mozarts Andante in G-Dur KV 501.
Sie leiteten mit diesem frühlingshaft fröhlichen
Werk über zum eigentlichen Höhepunkt des Konzertes,
zur «Sinfonia Concertante in B-Dur, op. 84».
In diesem Werk brillierten die sieben Musiker, indem sie
virtuose Musikalität mit Witz und Schalk würzten.
Mit Witz und Humor
Andreas und Hansjürgen Wäldele gaben in grossartigen
Solopartien humorvolle Improvisationen zum Besten. Insbesondere
der Violonist zauberte aus seinem Instrument Vogelgezwitscher,
das Brummen und Summen von Bienen oder gar das unangenehme
Sssssss eines Mückenschwarmes. Er holte so den lauen
Frühlingsabend mit seiner Kunst von draussen in das
Rebsteiner Kirchenschiff hinein, rollte dazu mit seinen
grossen Augen und suchte während des Spiels mit seinem
Blick die Kirchendecke nach Vögeln und Insekten ab.
Sein Cousin Hansjürgen tat es ihm auf der Oboe gleich.
Nachdem auch das Fagott und die Klarinette ihren Improvisationspart
hatten, konnte David Schenk in der Zugabe, einer Kirchensonate
von Mozart, KV 336, seinerseits seine Fähigkeiten als
Improvisateur unter Beweis stellen. Damit fand ein herrliches
Frühlingskonzert unter kräftigem Applaus des Publikums
seinen Schluss.
Max Pflüger,
St Galler Tagblatt, Mittwoch, 5. Mai 2004
Sinfonische
Kammermusik
Kirchgemeinde und Gemeinde Nidau luden zum Konzert
zum neuen Jahr in der Kirche Nidau ein.
Hfb. Für
Musikliebhaber sind klassische Konzerte in der Kirche Nidau
ein Geheimtipp. So war die Kirche fast vollständig
besetzt, als die Musiker aus der Region eine sinfonische
Kammermusik präsentierten, die nicht oft zu hören
ist. Das Ensemble bestand aus: Suzanne Vischer, Violine;
Michael Rath, Viola; Brigitte Fatton, Violoncello; Ivo Schmid,
Kontrabass; Marianne Hübscher, Querflöte; Hansjürgen
Wäldele, Oboe; Markus Niederhauser, Klarinette; Lars
Magnus, Horn, und Nicolas Rihs, Fagott. Gespielt wurden
Nonette, angelegt jeweils für ein Streichquartett und
ein Bläserensemble.
Im ersten Werk von Jeanne-Louise Farrenc (1804-1875) wurden
nur die ersten zwei Sätze der Nonette Es-Dur op. 38
gespielt. Louise Farrenc galt noch vor wenigen Jahren als
Geheimtipp in musikwissenschaftlichen Kreisen. Als Zeitgenossin
Mendelssohns, Schuberts, Chopins vertritt sie eine klassisch-romantische
Kompositionstradition. Sie verband klassische Formen mit
neuartigen Besetzungen, etwa in ihrem Nonett für Bläser.
Bohuslav Martinu (1890-1959), Nonett für Bläser
und Streicher HV 374, war Sohn eines Glöckners in Ostböhmen.
Er lebte abwechselnd als freischaffender Komponist in Prag,
New York, Pratteln und starb 1959 in Liestal. Seine Musik
ist das Zeugnis von urwüchsigen böhmischen Musikanten
mit beinahe unerschöpflicher Fantasie. Das dritte Werk,
das das Ensemble mit beeindruckender Feinfühligkeit
und Harmonie wiedergab, war von Witold Lutoslavsky (1913-1994)
und nannte sich Dances Préludes. Er arbeitete mit
aleatorischen Themen, die ihm, fast fünfzigjährig,
zum internationalen Durchbruch verhalfen. Seine Komposition,
ein Tanz-Präludium, drückte Kraft und Unmittelbarkeit
sowie kompositorischen Witz mit Annäherung an Volksmusik
aus.
Louis Spohr (1784-1859) war neben dem Italiener Paganini
der grösste Geiger seiner Zeit, zudem internationaler
Dirigent und bedeutender Komponist. In seinem Werk Grand
Nonetto F-dur op. 31 wechselten humorvolle Passagen, verschiedene
Stimmungen und eingängige Melodien. Er demonstriert
im Eingangssatz des Nonetts, was man aus einem kurzen, simplen
Motiv alles machen kann. Das gespenstisch dahinhuschende
Scherzo wird durch zwei Trios, ein volkstümliches und
ein humoristisches, aufgelockert. Darauf folgt das aus zwei
Gedanken entwickelte nocturnehafte Adagio, gefolgt von einem
Finale, das mit divertimentohafter Heiterkeit schliesst.
Bieler Tagblatt
vom 03.01.2004
Musikgenuss
in der reformierten Kirche Lengnau
«Zum Vergnügen und zur Zeitkürzung»
- gemäss dem Originalzitat von Mozart - liess sich
das Publikum den Bettag mit einem Mozart-Konzert versüssen.
srl. Eine gelungene
Mischung aus weltlicher und geistlicher Musik war es, die
der Zuhörerschaft in Lengnau geboten wurde. Durchwegs
vergnügliche und einprägsame Melodien, die das
Gemüt erfreuten. Mit einem «Orchestre»,
das nach Programmblatt und auch durch eigene Beurteilung
«sehr gut und stark» war, wurden verschiedene
Duette, Kirchensonaten oder Arien aus dem Figaro vorgetragen.
Mit Andreas Wäldele an der Violine, Hansjürgen
Wäldele an der Oboe, Jochen Seggelke an der Klarinette,
Nicolas Rihs am Fagott, Alexandru Cebanica am Kontrabass
und nicht zu vergessen Françoise Matile an der Orgel,
war wirklich ein durch und durch motiviertes Orchester im
Einsatz.
Leichtfüssige Partien
Die Emotionen der Spieler übertrugen sich aufs Publikum.
Dabei vermochten vor allem leichtfüssige Partien des
Gesamtorchesters den Funken springen zu lassen, oder aber
diejenigen Mozart-Stücke, die leicht verändert
zum Auftritt gelangten. So war schon einmal der Ausspruch:
«Das tönt aber nicht nach Mozart!», zu
hören.
Die leicht jazzig geprägten Klänge des Kontrabasses
von Alexandru Cebanica kamen beim Publikum gut an. War er
doch nicht der einzige, dem die Spielfreude eindeutig anzumerken
war.
Auch Hansjürgen Wäldele liess zeitweise flinke
Finger über die Klappen seiner Oboe «tanzen»,
ja in beinahe rasendem Tempo, dass man mit hören kaum
nachkam. Durch das spielerische Flair des Orchesters liessen
sich die Zuhörer mitreissen.
Auf den Applaus folgte noch als kleine Zugabe der Kanon
mit dem bezeichnenden Titel «Lasst uns ziehn».
Bieler Tagblatt
vom 20.09.2001
Reizvolle
Gegenüberstellung
Johann Sebastian Bach: seine Musik, seine Bearbeitungen
von Kompositionen anderer Meister und deren eigene Werke.
Ein Konzert in der Nidauer Kirche.
mt. Johann
Sebastian Bach schrieb in seinen Lehrjahren zahlreiche Werke
anderer Komponisten für die jeweilig gewünschte
Besetzung um. Die reizvolle Gegenüberstellung dieser
Transkriptionen mit den Originalwerken derselben Komponisten
einerseits und mit Bachs eigenen Werken, die sich an den
Stilen dieser Komponisten orientieren andererseits, ist
die Idee des Konzertes vom nächsten Sonntag in der
Kirche, Nidau.
Zum Beispiel François Couperin. Sein Leben weist
viele Parallelen zu Bach. Als schönste Blüte einer
Musikerfamilie stand er zeitlebens im Dienste des Königs
(Ludwig XIV). Auch Johann Friedrich Fasch wurde von Bach
hochgeschätzt. Er war 1721 (vor Joseph Haydn) Hofkomponist
beim Grafen Morizin in Böhmen und schrieb zwölf
Opern, bedeutende Kantaten, Ouvertüren, Orchestersuiten
und Kammermusik. Igor Strawinsky meinte, dass Vivaldi im
Grunde stets das gleiche Werk in verschiedenen Varianten
komponierte. Trotzdem erschienen Bach einige vivaldische
Kompositionen derart wertvoll, dass er sechs Instrumentalwerke
für Klavier, drei für Orgel und eines für
vier Cembali und Orcheser transkribierte.
Einer inhaltlichen Drammaturgie folgend interpretieren die
Barockgeigerin Dorina Mangra, der virtuose Oboist Hansjürgen
Waeldele, der Fagottist Nicolas Rihs, der rumänische
Kontrabassist Alexandru Cebanica und die Organistin der
Kirchgemeinde Nidau - Françoise Matile - das Musikprogramm
vom nächsten Sonntag, 19. November, um 17 Uhr in der
Kirche, Nidau.
Bieler Tagblatt
vom 14.11.2000
Play
Bach - Bach einmal spielerisch
In die oft starre «werkgetreue» Bach-Aufführungspraxis
brachten einige Musiker anlässlich des Bach-Zyklus
in der Kirche Nidau ein spielerisches, erfrischendes, zum
Teil auch provokatives Element.
ww. Bachs Genius
besteht auch darin, dass viele seiner Werke mit ganz unterschiedlichen
Musikinstrumenten interpretiert werden können - beispielsweise
mit Synthesizer, E-Bass und Schlagzeug. Diese Erkenntnis
haben einige Musiker genutzt und in der Kirche Nidau einem
grossen Publikum mit viel «Spiel-Raum» ihr Bach-Verständnis
dargelegt. Ein Höhepunkt war die Interpretation «Erbarm
Dich mein, o Herre Gott», wo Synthesizer, E-Bass,
Schlagzeug und Englischhorn ein faszinierendes Hör-Erlebnis
schufen. Ein harmonisches Zusammenspiel von elektronischen
Instrumenten mit Orgel, Fagott und Oboe war auch in «Ambiente
und Fuge» festzustellen.
Einige elektronisch «produzierte» Darbietungen
- sie liessen eher an Jean-Michel Jarre oder Frank Duval
denn an Bach denken - haben zu Zuhörerreaktionen wie
«ich habe es unterschiedlich empfunden» geführt.
Für diese Zuhörer bot der Konzertabend mit dem
einfühlsamen Spiel von Hansjürgen Waeldele, Oboe
und Englischhorn, und Nicolas Rihs, Fagott, reichliche Entschädigung
für ihr Kommen: in «Fantasia in d-moll»
oder in «Invention in B-Dur» für Oboe und
Fagott brillierten die Bläser neben ihrer reifen Technik
und Tonschönheit durch spontane Virtuosität. Françoise
Matile bewies in «Fantasia in g-moll» auf der
Orgel mit ihren oft improvisatorisch anmutenden Passagen
ihr Können.
Die übrigen Interpreten: Diego Rocca, Synthesizer,
Markus Gfeller, E-Bass und Martin Ries, Schlagzeug.
Bieler Tagblatt
vom 09.06.2000
Musikalische Delikatesse
serviert
Künstler-Duo spielte
in der reformierten Kirche neuzeitliche französische Fagott-
und Orgelmusik
rheineck.
Am Donnerstagabend bot die reformierte Kirche den stimmigen
Rahmen für ein bemerkenswertes Solistenkonzert der zwei
jungen Schweizer Künstler Nicolas Rihs (Fagott) und David
Schenk (Orgel).
Diese
intimen «Winterkonzerte» – viele Jahre im Rathaussaal
– veranstaltet die Gesellschaft für Musik und Literatur
immer zu Jahresbeginn als Kontrapunkt zur traditionellen
«Löwenhof»-Serenade im Juni.
Heuer
wurde ein delikates Programm mit französischer Instrumentalmusik
aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts präsentiert. Dabei
stellten sich Nicolas Rihs aus Biel und David Schenk (Organist
in Rebstein, Widnau-Diepoldsau-Kriessern) mit einer Auswahl
interessanter Werke der Komponisten Jehan Alain (1911 –
1940) und Charles Koechlin (1867 – 1950) vor.
Respektables
Format
Die
beiden bewiesen solistisch und als Instrumental-Duo respektables
Format: spieltechnisch professionell, dynamisch und subtil
gestaltend in der musikalischen Aussage und homogen im Zusammenspiel.
Beide verfügen über eine reiche Ausdruckspalette und sympathische
Ausstrahlung.
Ein
Hauch von Melancholie
Der
Fagottist beeindruckte mit biegsamem sonoren Ton, guter
Atemtechnik und Phrasierungskunst. David Schenk überzeugte
als feinsinniger Organist mit Spielkultur. Er nützte die
Möglichkeiten der relativ kleinen Orgel bei den Soli und
den Begleitparts durch einfühlsame Registrierung und transparentes
Spiel optimal. Das einstündige exklusive Nonstop-Programm
mit Raritäten spätromantischer französischer Fagott- und
Orgelmusik führte das Publikum in ungewohnter Tonsprache
in faszinierende Klangwelten und Ausdrucksformen. Die Interpreten
und besonders auch die Zuhörer waren voll gefordert. Während
die Werke von Charles Koechlin mehr der Spätromantik verhaftet
sind, stösst Jehan Alain in neue eigenständige Klangbereiche
(Akkorde, selbst entwickelte Tonarten) vor. Die expressiven
Kompositionen beider Komponisten durchwehte ein Hauch von
Melancholie und Besinnlichkeit. In der einleitenden Sonate
von Koechlin liessen das elegische «Nocturne» und das leidenschaftliche
«Finale» aufhorchen. Bei seinen «Trois pièces» kosteten
Fagottist und Organist im romantischen Zwiegespräch den
Wohlklang aus. Höhepunkt war die «Troisième Sonatine» für
Fagott solo mit der variablen Themengestaltung sowie den
filigranen Koloraturen und den exakten Läufen im duftig
beschwingten «Finale».
Magische
Klanglichkeit
Hervorragend
meisterte Nicolas Rihs auch die anspruchsvolle «Monodie»
von Jehan Alain und den heiklen Solopart im «Intermezzo»,
wo der Organist einen fein gewobenen Klangteppich ausbreitete.
Beim Orgel-Solo «Deuxième Fantaisie» – einem Opus
von magischer Klanglichkeit – kontrastierten die zarten
Orgel-Register der gefühlvollen lyrischen Passagen mit den
chromatischen Klangschattierungen in den leidenschaftlichen
Steigerungen und Ausbrüchen. Um zwei höchst eigenwillige,
aparte Kompositionen von Jehan Alain handelte es sich beim
diffizilen Orgelsolo «Deux danses à Agni Yavishta» (altindische
Gottheit), einem Highlight des Abends.
Einen
krönenden Abschluss des Konzertes bildeten die farbigen
«Trois mouvements», op. 64, für Fagott und Orgel von Jehan
Alain. Das träumerische Einleitungsmotiv entwickelte sich
zu bewegtem Figurenwerk (Orgel) und mündete in einem bravourös
gespielten Finalsatz, der reichen Beifall auslöste
Ferdinand
Ortner, 30. Januar 2006
Copyright
© St.Galler Tagblatt
Herbstzeit:
Von Fülle bis Vergänglichkeit
Brugg Abendmusik als musikalisch-dichterisches
Zwiegespräch
Einer Abendmusik der ungewohnten
Art konnte man in der Stadtkirche Brugg beiwohnen. Weder
Orgel- noch Chormusik standen im Zentrum der Aufmerksamkeit,
sondern nur zwei Ausführende als Protagonisten eines
Zwiegespräches zum Thema Herbst.
Werner Marti, Schriftsteller, und Nicolas Rihs, Musiker
und Fagottist, teilten sich in die Aufgabe, die Thematik
sowohl sprachlich als auch musikalisch auszuloten. Die Fülle,
aus der sie schöpfen konnten, widerspiegelte das ganze
Spektrum des Herbstes, der als Sinnbild von Fülle,
aber auch von Vergänglichkeit viele Dichter und Musiker
inspiriert hatte. Diesen Gedanken im Rahmen einer besinnlichen
Stunde ganz nahe zu sein und sich auf die Wirkung von Wort
und Melodie einzulassen brachte reichen Gewinn für
die Zuhörenden, wenngleich die Verständlichkeit
der Texte trotz Mikrofon nicht immer optimal war. Die weniger
schwierige Rolle hinsichtlich Verständlichkeit hatte
der Fagottist, dessen Instrument mit seiner sonoren Stimme
die Ohren lieblich umschmeichelte und sowohl in gewohnt
tiefen als auch in erstaunlich hohen und geschmeidigen Klängen
musikalisch-bunte Herbstbilder hervorzauberte.
Wer nun eine eher von Trauer und Abschied geprägte
Stimmung erwartet hatte, sah sich angenehm überrascht.
Vor allem im ersten Teil lösten sich heitere Texte
und entsprechende Musik ab und man hörte viel von des
Sommers Fülle, von Erinnerungen an Rosen, Schmetterlinge
und laue Nächte. Selbst den ersten untrüglichen
Herbstboten, den Herbstzeitlosen, wusste der Dichter Friedrich
Sieburg eine humorvolle Seite abzugewinnen.
Dass Herbst aber auch Abschied, Loslassen und Sterben bedeutet,
wurde bewusst nicht ausgeklammert. Ob in einer nostalgischen
Alpabfahrt geschildert oder in wehmütig-melancholischen
Zeilen ausgedrückt, das warme Gold des Herbstes trägt
die Zeichen von Welken und Sterben in sich, und diese endgültige
Gewissheit macht traurig. Wäre da nicht der zarte Keim
der Hoffnung auf den nächsten Frühling, wie er
immer wieder, sowohl in den Texten als auch in der Musik,
zu erahnen war und wie ihn die Zuhörenden, beglückt
und innerlich getröstet, mit in den unmittelbar bevorstehenden
Herbst genommen haben.
myrtha schmid
© Mittelland Zeitung; 16.10.2004
Neue Zürcher Zeitung,
25. mai 1990
Getreidesilo
- Konzert in der Tonhalle Zürich
"... ein buntes Programm,
das (...) eine Vielzahl von Ausdrücksmöglichkeiten
bis zum Klangexperiment und zum naturalistischen Hühnerhofgegacker
erkundete: formal überzeugende, von klanglicher Phantasie
und spielerischem Witz sprühende musikalische Improvisationen
mit teils versponnen theatralischen Akzenten und einer erstaunlichen
Sensibiltät der gegenseitigen Reaktionen".
Radio
DRS2aktuell, 19. Januar 2006, 17.06-17.30
Faszination
improvisierte Musik
Gleich zweimal steht am kommenden Wochenende das
Thema "Improvisation" im Zentrum: in Zürich
am Fetsival "Zwei Tage Zeit" und in Basel in der
Reihe "Aspekte deer Freien Improvisation". Freie
Improvisation" - ist das ein wildes Durcheinander von
Tönen oder eine klar definierbare Musikrichtung?
Franziska
Weber spricht mit Urban Mäder
Radio Anthroposophie, Mittwoch,
Januar 25, 2006
Philippe
Micol: Wie frei ist freie Improvisation?
Am Sonntag, 12. Februar 2006, von 11.00 - 12.30
Uhr findet in der Musik-Akademie Basel "Haus Kleinbasel"
(Rebgasse 70, 4058 Basel) ein musikalisches Ereignis der
besonderen Art statt: 'Wie frei ist Freie Improvisation?
Wo mündet Freiheit in Beliebigkeit? Von der Kraft der
Grenzen und der Lust ihrer Beschreitung' werden sich Hansjürgen
Wäldele, Nicolas Rihs und Philippe Micol fragen und
fragen lassen müssen.
In der Ankündigung heisst es: "Es ist ein erster
Schritt zu begreifen, dass wir ein Zelt auch ohne
Bauplan errichten können: sich frei machen
von Vorgaben. Doch der zweite Schritt ist der wesentliche,
sich von Zelt und Bauplan zu verabschieden und sich ins
Unabsehbare zu stürzen, offen für das,
was als nächstes kommt: sich frei machen von der rationalen
Kontrolle unseres Tuns, sich der Intuition überlassen.
Der dritte Schritt ist Gestaltung, wir
schieben, stossen und ziehen, bringen unseren Willen und
unsere Absichten ins Spiel, lassen aber auch geschehen,
lassen auch wieder los: die Freiheit, aus einer Vielzahl
von Gestaltungsmöglichkeiten zu wählen, die sich
jedoch an dem, was der Kontext, in dem wir stehen, uns vorgibt,
aussteuern muss."
Es ist beabsichtigt, innerhalb dieser Anti-Komposition die
Kernsätze von Rudolf Steiners Hauptwerk "Die
Philosophie der Freiheit" via Tonband vortragen
zu lassen.
Juni
2006, Schweizerische Musikzeitung
Wie
frei ist Freie Improvisation?
Vortrag
von Michel Seigner, gehalten am 26.03.2006, an der Musik-Akademie
Basel, im Rahmen der Veranstaltung "Aspekte der Freien
Improvisation".
Zum Begriff "Freie
Improvisation"
Bekanntlich entstand der Begriff in den 60er-Jahren, als
Cool Jazz vom Free Jazz abgelöst wurde. (Ornette Coleman
gebrauchte den Begriff "Free Jazz" 1960 als programmatischen
Titel für eine seiner Schallplatten). Das Wort frei
stand für die Abgrenzung von der traditionellen Improvisation
und bedeutete, nicht länger an Beat, Chorus und tonale
Harmonik gebunden zu sein.
Mittlerweile hat sich die Freie Improvisation zu einer autonomen
Form der Musikausübung entwickelt, bar der Tabus, die
zu Zeiten des Free Jazz noch herrschten. (Zum Beispiel grenzte
es damals an Blasphemie, einen Dur-Dreiklang zu spielen).
Zieht man in Betracht, wie weit sich die Praxis der Freien
Improvisation von derjenigen der 60er-Jahre entfernt hat,
müsste sie eigentlich längst einen anderen Namen
tragen.
Ein Begriff, der mein persönliches Verständnis
von Improvisation besser umschreibt, ist Instant Composing.
Auch er existiert bereits seit den 60er-Jahren. Er wurde
in der niederländischen Szene um Mischa Mengelberg
geprägt. Leider lässt er sich nicht auf elegante
Weise ins Deutsche übertragen.
Doch zurück zur eigentlichen Frage: "Wie
frei ist Freie Improvisation?"
Tatsächlich halte ich den Begriff "Freie Improvisation"
für irreführend; nicht das Wort Improvisation,
sondern das Wort frei.
Allzu oft wird unter frei bzw. Freiheit verstanden, beliebig
und absichtslos den gerade auftauchenden Impulsen und Einfällen
zu folgen. Eine Vorstellung, der ich häufig begegne,
wenn ich Leuten, die mich fragen, was für Musik ich
denn mache, sage, ich würde frei improvisieren. Viele
halten Freie Improvisation für eine frisch-fröhlichen
Klanglotterie.
Hat diese Vorstellung von Freiheit tatsächlich mit
"Freier Improvisation" zu tun?
Im weiteren impliziert der Begriff das Vorhandensein einer
unfreien Improvisation. Müsste man dann einen Thelonious
Monk, einen Charlie Parker oder einen Lennie Tristano als
unfreie Improvisatoren bezeichnen?
Schliesslich suggeriert der Begriff, Musiker, die andere
Formen der Musikausübung praktizieren, besässen
weniger oder gar... keine Freiheit.
Auch das wäre zu hinterfragen.
Wie eigentlich wird Freiheit definiert
"Wie frei ist Freie Improvisation?"
ist eine ziemlich tückische Frage. Die Versuchung war
gross, einfach davon auszugehen, was ich persönlich
für frei bzw. unfrei erachte. Doch gleichzeitig weckte
sie die Neugierde, ob eine – zumindest in den Grundzügen
– übereinstimmende Definition von Freiheit aufzufinden
sei.
So habe ich denn Literatur, Enzyklopädien, und Wörterbücher
durchgekämmt. Es war schwindelerregend. Freiheit ist
ein erschreckend komplexer - und streitbarer - Begriff,
zu dem sich tausende von grossen Geistern - Deterministen
und Indeterministen - über Jahrtausende hinweg in unterschiedlichsten
Kontexten teilweise kontrovers, teilweise übereinstimmend
geäussert haben.
Doch schliesslich liess sich eine Definition herausfiltern,
über die sich die neuzeitliche Philosophie in den Grundzügen
einig zu sein scheint.
Reduziert auf das, was mir in Zusammenhang mit unserer Fragestellung
relevant erscheint, lautet sie folgendermassen: Generell:
"Unabhängigkeit von äusserem, innerem
oder durch Menschen oder Institutionen bedingtem Zwang."
Meyers Lexikon
Spezifischer: die Definition der Willensfreiheit
"Sie bezeichnet die genuine Fähigkeit des
Menschen, willentlich zu handeln, d.h. zwischen Alternativen
wählen und eine Entscheidung treffen zu können."
Duden, Philosophisches Wörterbuch
Wenn ich nun im Folgenden versuchen möchte, die Frage
"Wie frei ist Freie Improvisation?" an dieser
Definition zu messen, muss ich einsehen, dass ich damals
- im August letzten Jahres – als ich, sogenannt
frei von der Leber weg, einen Einführungstext zum Thema
verfasste, von einer Prämisse ausging, die dieser
Definition von Freiheit nicht standhält. Der
Haken lag in folgender Behauptung:
"Improvisierend aus einem im Moment vorhandenen
Material ein Gericht zu kochen, einen Unterschlupf zu bauen,
eine Musik zu gestalten; wie viel ist frei bei solcher Tätigkeit?
Allenfalls der Umstand, keinem Kochrezept, keinem Bauplan,
keiner Partitur zu folgen. Der Rest jedoch bedeutet gebunden
zu sein, an ein vorhandenes Material und eine Absicht, die
Absicht auch dann bleibt, wenn sie darin besteht absichtslos
zu sein."
Falsch war die Prämisse insofern, als ich Gebundensein
mit Unfreiheit gleichsetzte. Denn an eine Absicht gebunden
zu sein gälte nur dann als unfrei, wenn mir nicht die
Wahl offen stünde, diese Absicht auch wieder zu verwerfen,
sie also aus innerem Zwang heraus "zwanghaft"
in Tat umsetzen müsste. Ebenso steht es mir letztlich
frei – immer vorausgesetzt ich bin nicht zwanghaft
veranlagt - ein vorhandenes Material als verbindlich oder
als unverbindlich zu betrachten.
Hinzu kommt, dass - gemäss der Definition von
Willensfreiheit – Absicht geradezu Voraussetzung für
freies Handeln ist. Unabsichtliches Handeln, zum Beispiel
wenn ich jemandem unabsichtlich auf die Füsse trete,
ist eine Handlung, die ich weder gewählt noch willentlich
vollzogen habe und somit keine freie Handlung.
Ich bin also einer verbreiteten Auffassung aufgesessen,
sich zu binden oder etwas als verbindlich zu betrachten
sei zwangsläufig mit Unfreiheit gleichzusetzen.
Über frei oder unfrei entscheidet lediglich die Frage,
ob mir die Wahl offen steht, mich zu binden oder es eben
nicht zu tun.
Jetzt könnte man natürlich einwenden, wer sich
binde, schränke seine Freiheit in hohem Masse ein.
Dazu eine Episode, die John Cage in "Silence"
erzählt: "Unlängst sagte eine Schülerin,
die versucht hatte, eine Melodie aus nur drei Tönen
zu komponieren "Ich fühlte mich eingeengt."
Hätte sie sich mit den drei Tönen – ihrem
Material – befasst, sie hätte sich nicht eingeengt
gefühlt."
Der Philosoph Peter Bieri fasst in seinem Buch "Das
Handwerk der Freiheit" die Frage nach der Freiheit
des Handelnden folgendermassen zusammen:
"Das Ausmass, in dem er frei ist, ist das Ausmass,
indem er das, was er will, in die Tat umsetzen kann."
Lässt sich nun anhand vorangegangener Definitionen
etwas über den Freiheitsgrad improvisierter Musik aussagen?
In diesem Zusammenhang stellen sich mir folgende
Fragen:
1. Bin ich als freier Improvisator
inneren oder äusseren Zwängen ausgesetzt, und
worin könnten diese bestehen?
2. Erlaubt mir die Freie Improvisation
zwischen Alternativen zu wählen und zu entscheiden?
Aber auch grundsätzlicher: Bin ich in der Lage zu entscheiden?
3. Bin ich in der Lage, das, was
ich will - also eine Absicht - in die Tat umzusetzen?
Zur 1. Frage:
Bin ich inneren oder äusseren Zwängen ausgesetzt,
und worin könnten diese bestehen?
Um die Dinge nicht allzu sehr zu verkomplizieren,
gehe ich mal davon aus, dass improvisierende Musikerinnen
und Musiker keine Zwangsneurotiker sind, also grundsätzlich
keinen inneren Zwängen unterworfen sind (wobei sich
natürlich nicht ausschliessen lässt, dass der
eine oder andere Zwang durchaus vorhanden sein kann).
Äusserer Zwang jedoch ist vorstellbar. Dieser könnte
z.B. in einer Publikumserwartung bestehen, der ich gegen
meinen Willen versuche gerecht zu werden, da ich von meinen
Konzerten leben möchte bzw. muss.
Ein anderer äusserer Zwang könnte auch die Tatsache
bedeuten, dass Konzertorganisatoren nicht selten Gruppen
zusammenwürfeln, deren Zusammenstellung nicht meinen
Wünschen entspricht, es mir aus finanziellen Gründen
jedoch nicht frei steht, abzusagen.
Inwieweit solche Faktoren äusseren Zwangs ins Gewicht
fallen, kann ich nicht beurteilen, da es nie meine Absicht
war, von meinen Konzerten leben zu können. Jedenfalls
wird niemand, dem es in erster Linie darum geht, von seiner
Musik leben zu können, die Freie Improvisation wählen.
Ein weiterer Faktor äusseren Zwangs könnte darin
bestehen, dass allein der Begriff "Freie Improvisation"
gewisse Freiheiten ausschliesst oder einschränkt. Wie
auch immer ich mich anstrenge, ich komme auf nichts, was
angesichts der heutigen Auffassung von Freier Improvisation
als freiheitsbegrenzend bezeichnet werden könnte.
Zur 2. Frage:
Erlaubt mir die Freie Improvisation, zwischen Alternativen
zu wählen und zu entscheiden? Aber auch grundsätzlicher:
Bin ich in der Lage zu entscheiden?
Die Definition der Willensfreiheit setzt voraus,
dass mir die Wahl zwischen Alternativen offen steht. Doch
woher eigentlich stammen die Alternativen, die mir allenfalls
zur Wahl stehen?
Es sind dies die Produkte meiner Intuition und meines Vorstellungsvermögens:
Alles in allem mein Ideenreichtum. Die Anzahl und die Qualität
der Alternativen, die mir zur Wahl stehen, ist somit abhängig
von der Kreativität, über die ich in einem jeweiligen
Moment des Spielens verfüge, aber auch davon, was in
diesen Momenten musikalisch gerade stattfindet. Kreativität
wiederum setzt Offenheit, Flexibilität und Risikobereitschaft
voraus.
Solange ich inspiriert bin, über Ideenreichtum verfüge,
bin ich frei zu wählen, nicht nur womit ich
auf eine sich stets verändernde Situation reagiere,
sondern auch worauf, wann und ob ich reagiere.
Dies ist die Voraussetzung dazu, überhaupt gestalten
bzw. mitgestalten zu können.
Eng wird es dann, wenn mir nichts mehr einfällt, denn
dann bin ich der Freiheit beraubt, das zu tun, was ich eigentlich
vorhatte, nämlich Musik zu machen.
Natürlich könnte ich noch weiterhin Töne
produzieren... aber was hätte das mit Musik zu tun?
Das Ausmass, in dem mir offen steht, zwischen Alternativen
zu wählen, ist also abhängig vom Ausmass meiner
Kreativität.
Zur Frage der Entscheidungsfähigkeit:
In Zusammenhang mit Improvisation die Frage zu stellen,
ob zu entscheiden mir erlaubt ist, bzw. ob ich dazu in der
Lage bin, scheint mir hinfällig.
Improvisation ohne die Fähigkeit, zu entscheiden, bzw.
Entscheidungen selbständig treffen zu können,
ist nicht denkbar.
Doch die musikalische Improvisation setzt - auf Grund ihrer
Zeitgebundenheit – eine spezifische Art von Entscheidungsfähigkeit
voraus:
Angenommen, ich bin zwar kreativ, jedoch ein Zauderer, unfähig
mich innert nützlicher Frist zwischen zwei oder mehreren
Einfällen zu entscheiden, so würde mich das letztlich
zum Verstummen bringen.
Denn während der Zeit, die ich benötigte, um mich
zu entscheiden, ist der musikalische Prozess längst
weitergelaufen, und das, was zu spielen ich mich schliesslich
entscheide, steht in keinem Kontext mehr zum aktuellen Geschehen.
Mein Einfall ist überfällig geworden.
In der Improvisation ist die Frage, wie schnell ich in der
Lage bin zu entscheiden, mitbestimmend für den Grad
meiner Freiheit. Ein Faktor, der z.B. in der Komposition
nicht massgebend wäre.
Noch etwas zum Tempo
Durch den Versuch, einer Antwort auf die Frage "Wie
frei ist Freie Improvisation?" auf die Spur zu kommen,
könnte der Eindruck entstehen, beim frei Improvisieren
würde behutsam erst alles abgewägt und schliesslich
in die Tat umgesetzt. Alles sei permanenter Kontrolle unterworfen.
Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Entscheidungs-
und Willensakte, bewusste und unbewusste, häufen und
überlagern sich beinahe reflexartig in Sekundenbruchteilen;
ein hoch komplexer Prozess, in dem sich manche Absicht nicht
erfüllt, manches einfach geschieht; deus ex machina
im Guten wie im Schlechten.
Zur 3. Frage:
Bin ich in der Lage, das was ich will - also eine Absicht
- in die Tat umzusetzen?
Wie weit ich in der Lage bin, meine Absichten
in die Tat umzusetzen, hängt – mal abgesehen
von den grundsätzlichen Grenzen, die mein Instrument
mir setzt - von meiner Instrumentaltechnik ab. Sie bestimmt
das Ausmass meiner Handlungsfreiheit.
Doch hier beisst sich die Katze in den Schwanz:
Im Bewusstsein, dass ich auf meinem Instrument nicht alles
kann (geschweige denn aus dem Moment heraus), werde ich
- im günstigen Fall - unter meinen musikalischen Einfällen
jene auswählen, die meine Technik mir erlaubt zu realisieren.
D.h. meine Wahlfreiheit wird stets auch davon bestimmt sein,
wovon ich glaube bzw. hoffe, es in die Tat umsetzen zu können.
Schliesslich der Versuch einer Antwort auf die Frage:
"Wie frei ist Freie Improvisation?"
Die Rahmenbedingungen der Freien Improvisation
lassen sich – wie mir scheint – durchaus als
frei bezeichnen. Von äusseren Zwängen durch Menschen
oder Institutionen zu reden, schiene mir wehleidig.
Auch setzt das heutige Verständnis von Freier Improvisation
- anders als noch damals im Free Jazz - weder stilistische
noch irgendwelche andere Vorgaben, die meine musikalische
Freiheit einschränken würden.
Grundsätzlich bin ich als frei improvisierender Musiker
also autonom.
Doch wie weit mein freies Improvisieren den Kriterien von
Wahlfreiheit, Willensfreiheit und Handlungsfreiheit standhält,
darüber entscheiden weitgehend meine höchst individuellen
Eigenschaften.
Deshalb lautet mein Fazit:
Die Freie Improvisation ist so frei, wie das Spielverhalten
der Musikerinnen und Musiker frei ist, die sie ausüben.
Oder eher mathematisch ausgedrückt:
Freie Improvisation ist so frei wie die Summe der
Freiheit jener, die sie ausüben.
Kurz noch etwas zum Untertitel dieser Veranstaltung:
Wann mündet Freie Improvisation in Beliebigkeit?
Bereits die Fragestellung impliziert, dass Beliebigkeit
nicht mit Freiheit gleichzusetzen ist. Beliebigkeit stellt
sich dann ein, wenn ich spiele, ohne eigentlich etwas zu
wollen. Und da ich eigentlich gar nichts will, gibt es auch
keine Wahl zu treffen, geschweige denn etwas zu entscheiden.
Unter Umständen will ich sogar etwas: Zum
Beispiel etwas ausprobieren, doch das ist nicht das selbe,
wie Musik machen wollen. Das Resultat ist Orientierungs-
und Richtungslosigkeit. Was wiederum zur Folge hat, dass
sich keine Zusammenhänge, keine übergeordnete
Form, keine Stringenz einstellen können. Alles bleibt
unverbindlich, und dies für die Mitspieler in gleichem
Masse wie für die Zuhörer.
Badische Zeitung
vom 03.06.2006
Zwischen
Realität und Abbild
Ungewohnte
Improvisationen im Basler Gare du Nord „Ceci n’est
pas une pipe“ (Das ist keine Pfeife). René
Magrittes berühmter Satz über den Unterschied
zwischen Realität und Abbild, mit dem er sein Ölbild
einer frei schwebenden Tabakspfeife unterschreibt, hätte
sehr gut auch als Motto für die jüngste Bläser-Nocturne
im Basler Gare du Nord getaugt. Dass Magrittes „pipe“
kein Instrument ist, tut dem keinen Abbruch. In surreal
unwirkliche Bildwelten versetzt das alte Bahnhofsbuffet
ohnehin. Die musikalische Geste, zu der im Gare du Nord
diesmal Hansjürgen Wäldele (Oboe), Nicolas Rihs
(Fagott), Philippe Micol (Saxophon/Klarinette), Hans-Jürg
Meier (Blockflöten) und Urban Mäder am Flügel
ausholten, hätte anderswo kaum ähnlich greifen
können.
Auch ohne die angekündigte „Electronics“-
und Gitarren-Unterstützung des erkrankten Michel Seigner
fehlte es der verbliebenen Crew kaum an Einfällen,
Töne, Instrumente und äußere Eindrücke
zu verfremden. Auch das neu aufgenommene Würfelspiel
blieb unwirklich. Die großen Schaumstoffwürfel,
die die Musiker von Mal zumal neu warfen und scheinbar über
Auftritt oder (Ersatz-) Bank entscheiden ließen, mochten
ihrerseits für das schwer sich erschließende
System musikalischer Improvisation stehen.
Aus einem schier unendlichen Repertoire an Einfällen
schöpften die Musiker auch über dieses rätselhafte
Würfeln hinaus. Philippe Micols bildhafte Erwanderung
eines Taktes etwa, in der Schritt für Schritt des an
den Rändern der Rotunde gehenden Saxophonisten das
Spiel der anderen strukturierte. Oder Hansjürgen Wäldeles
ganz unvermittelt einsetzender sehr melodischer Part, der
demüber aller Verfremdung und Improvisation doch hier
und da etwas angestrengten Publikum vor Augen führte,
wie Oboenspiel klingen kann, nämlich einfach nur schön.
An anderer Stelle klangen wieder vor allem Bass-Saxophon,
Fagott und Oboe derart schrill scheußlich zusammen,
dass niemand sicher sein konnte, ob das plötzlich in
knapper Pause aufspringende und den Saal verlassende wohl
halbe Publikum, doch noch den Zug erreichen oder nur die
geordnet höfliche Flucht ergreifen wollte. Urban Mäders
den Fall seines Würfels daraufhin gar nicht mehr abwartendes
an den Flügel Stürzen und in die Tasten Hauen,
löste beim Restpublikum jedenfalls größere
Heiterkeit aus. Der Flügel auch einmal als Zither,
Saxophon, Klarinette und Oboe mal mit, mal oder ohne oder
auch nur auf dem Mundstück gespielt. Selbst noch die
Mundstück-Schutzkappen wurden da zum Instrument. Magritte
glaubte wenigstens die Mehrheit seiner Rezipienten immer
noch interpretieren und also verstehen zu können.
Und Keith Jarretts musikalische Gesten waren etwas eingängiger.
Aber es muss ja nicht immer Jarrett sein.
Annette Mahro
Programmzeitung
Basel, März 2006
Foren
für Improvisation
db. Seit drei Jahren organisieren
Hansjürgen Wäldele (Oboe) und Nicolas Rihs (Fagott),
die u.a. an der Musik-Akademie Basel unterrichten, Veranstaltungen
über ‹Aspekte der Freien Improvisation›.
Dabei versuchen sie, auf spielerische Weise Theorie und
Praxis zu verbinden, indem musiziert, reflektiert und diskutiert
wird. Ein Gast äussert sich jeweils zu einer bestimmten
Fragestellung; Ende März etwa wird die ‹Freiheit›
der Improvisation vom Gitarristen Michel Seigner unter die
Lupe genommen. Denn was heisst hier Freiheit? Entstehen
Spielräume nicht erst durch Grenzen? Das Publikum ist
eingeladen, sich am Gespräch zu beteiligen. Das Spielen
ohne Noten, ohne vorherige Abmachungen und ohne bestimmten
Stil ist voller Reize und Risiken; das dürfte sich
auch an der Abschlussveranstaltung zeigen, bei der alle
Gäste der diesjährigen Reihe gemeinsam konzertieren.‹Aspekte
der Freien Improvisation›: So 26.3. (Michel Seigner)
und So 7.5. (Hans-Jürg Meier), 11.00—12.30, Musik-Akademie,
Haus Kleinbasel, Rebgasse 70. Abschlusskonzert: Do 1.6.,
19.30/ 21.00, Gare du Nord. Weitere Infos: www.getreidesilo.net
SAMSTAG, 15.
JANUAR 2005 Basellandschaftliche Zeitung
Die Improvisation ist eine fragile Kunst, die hochgradig
auf den Augenblick bezogen ist.
Dieser Aspekt ist bekannt
und wird auch oft betont. Doch seit den Anfängen des
Free Jazz und der Freien Improvisation ist der Aspekt der
Forschung mindestens so wichtig.
Das Gefühl, mit bestehenden
Spielweisen, Instrumenten, Formen und Theorien nicht genügend
für die Konfron-tation mit dem Augenblick gerüstet
zu sein, gehört ebenso selbstverständlich zum
Ausgesetztsein des auf Noten verzich-tenden Musikers, wie
ein entsprechendes Pensum an Üben, Hören, Ausprobieren
und Reflektieren. Aber mit wenigen Ausnahmen wird darüber
eher selten berichtet.
Umso wichtiger ist deshalb die von Hansjürgen Wäldele
und Nicolas Rihs organisierte und in der Musik-Akademie
stattfindende Vortragsreihe “Vom Poten-tial einer
musikalischen Geste - Aspekte der Freien Improvisation”
(die dankens-werterweise vom Fachausschuss Musik BS/BL unterstützt
wird).
Die jeweils am Sonntagmorgen stattfindende Reihe (für
genauere Informationen: www.getreidesilo.net/aspekte) bietet
dieses Jahr vier Vorträge zu weit-reichenden Themen
der improvisierten Musik.
Am 16. Januar wird es um „Improvisierte Musik im Internet“
gehen. Dank erhöhten Datendurchsätzen bietet dieser
Bereich immer mehr Möglichkeiten (bis hin zum Live-Ensemblespiel),
über die der Kontrabassist Peter K. Frey berichten
wird. Anhand von konkreten Beispielen wird er versuchen
aufzuzeigen, was in diesem Medium bereits ausprobiert und
was noch möglich und sinnvoll ist.
Am 27. Februar steht „An den Rändern der Sprache:
vom Spiel mit Bedeutungen“ auf dem Programm. Das ursprünglichste
aller Instrumente stellt aufgrund der Bedeutungsebene der
Sprache besonders verzwickte und weitreichende Fragen an
die Improvisa-tion. Die sowohl im Bereich der neuen Musik
als auch der Improvisation tätige Sängerin Marianne
Schuppe wird über die ebenso explosive wie fruchtbare
Beziehung zwischen Stimme und Sprache, zwischen Sprachlosigkeit
und spontaner Spracherfindung, zwischen Textinterpretation
und Laut-Poesie reflektieren.
Einem zentralen Thema ist der 22. Mai gewidmet: „Präparieren,
Mani-pulieren: die Bedeutung der sogenannten Klangforschung
in der improvisierten Musik“. Die üblichen Instrumente
und Spielweisen sind in der Improvisation ihrer Selbstständigkeit
entledigt und werden als gesellschaftliche und his-torische
Produkte betrachtet. Der Pianist (oder in gewisser Hinsicht
auch Nicht-Pianist) Christoph Schiller wird darüber
berichten, wie die Suche nach neuen, anderen und frischen
Klängen dazu führen kann, sich einem Instrument
immer wieder neu anzunähern, aber auch darüber,
was für ein intensiver Austausch von Spielweisen zwischen
improvi-sierenden Musikern stattfindet. Könnte die
„falsche“ Spielweise zum „richtigen Leben“
gehören?
Am 19. Juni schliesslich wird der Musiker und Instrumentenbauer
Lukas Rohner dieses Thema weiterführen: „Mehrstimmiges
Blasen: Begegnungen von Mehrklängen auf Oboe und Fagott
mit neuerfundenen Tastenblasinstrumen-ten“ widmet
sich den Möglichkeiten der Holzblasinstrumente und
Suche nach neuen Instrumenten als technischer, aber auch
als poetischer und ebenso radikaler wie alltagsbezogener
Tätigkeit.
Eine Fülle an Informationen, Einsichten und Auseinandersetzungen
wartet also auf interessierte Hörer- und MusikerInnen
!
Peter Baumgartner
DONNERSTAG,
16. JUNI 2005 Basellandschaftliche Zeitung
Spannend
improvisierte Konzertmusik
Rolf de Marchi
SEPTEMBER 2005
Dissonanz N° 91
Fülle
und Leere
Andreas Fatton
Programmzeitung
Basel, März 2006
Plattformen
für Improvisation
db. 1993 entstand
das Forum für improvisierte Musik (FIM), zu dem sich
vor fünf Jahren noch der Tanz gesellte. Um dieser so
eigen- wie randständigen Kunstform mehr Öffentlichkeit
zu bieten, wurde vor einem Jahr der Kulturverein FIM gegründet,
dem heute 30 zahlende Mitglieder angehören. Neben regelmässigen
Treffen und Auftritten – zunächst im Davidseck,
dann in der Gundeldinger Kunsthalle, neuerdings in der Mitte
– finden auch Koproduktionen, etwa mit der IG Tanz
oder mit Angehörigen anderer Kunstsparten, statt. Dabei
geht es immer um höchste Präsenz und grösste
Offenheit, was den Darbietenden wie dem Publikum viel abverlangt,
aber mit der ‹Magie des Augenblicks› belohnt
wird. Während es etwa in Bern und Zürich schon
länger ‹Werkstätten für improvisierte
Musik› gibt, die von den Städten mitfinanziert
werden, muss das FIM Basel immer noch mit viel unbezahlter
Arbeit über die Runden kommen. Dennoch möchte
der Verein im nächsten Jahr ein grösseres Festival
präsentieren. – Ebenfalls der flüchtigsten
aller Künste verschrieben haben sich Hansjürgen
Wäldele und Nicolas Rihs, die im Januar eine vierteilige
Veranstaltungsreihe zum Thema Improvisation starteten, welche
mit einem Konzert aller Referierenden abgeschlossen wird.
Unter dem Titel ‹Vom Potenzial einer musikalischen
Geste› beleuchten die Gast-MusikerInnen Fragen ihres
individuellen Schaffens.
FIM-Projekt ‹tabbbcla›: Di 22.2., 20.00, Safe,
Unternhemen Mitte. Weitere Infos: www.fimbasel.ch
‹Vom
Potenzial einer musikalischen Geste›. Aspekte der
freien Improvisation: So 27.2., 11.00 Marianne Schuppe,
Musik-Akademie, Haus Kleinbasel, Rebgasse 70. Weitere Daten:
www.getreidesilo.net/aspekte.html